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Das Römische Reich und die Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) erlebten ihren Aufschwung und größte Machtentfaltung und Expansion annähernd im gleichen Zeitraum. Die äußerst westlichen und östlichen Großmächte des Eurasischen Kontinents wussten gegenseitig durchaus von ihrer Existenz, obwohl die gegenseitigen Vorstellungen eher verschwommen und oft fast schon mystischer Natur waren.

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In China war das Römische Reich als „Daqin“ (Großes Qin) bekannt und wurde als eine Art Gegen-China am anderen Ende der Welt aufgefasst. In Rom wurde China als „Seres“ bezeichnet, was sich allerdings als mehrdeutig erweist, da sich der lateinische Name „Seres“ auf eine ganze Reihe asiatischer Völker (Indien, Zentralasien bis China) beziehen kann. Erst um 150 n. Chr. taucht auf der Weltkarte des Ptolemäus (* um 100, † nach 160) „Sina“ (China) am äußersten rechten Rand, jenseits der Insel „Taprobane“ (Sri Lanka) und der „Aurea Chersonesus“ (Südostasiatische Halbinsel) auf.

Im Jahr 97 n. Chr. überquerte Ban Chao mit einer Armee von 70.000 Mann bei einem Feldzug gegen die Xiongnu, die die Handelsroute attackierten, die heute als Seidenstraße bekannt ist, das Tianshan und den Pamir. Der westlichste Punkt, den er erreichte, war die einstige griechische Polis Antiochia Margiana (Merw), nahe dem parthischen Reich. Von hier aus schickte er angeblich einen Gesandten namens Gan Ying nach Daqin (Rom). Dieser erreichte Mesopotamien und wollte durch das Schwarze Meer nach Rom segeln. Obwohl nur ca. 2 Monate von Rom und nur 2 Tagesreisen von römischem Hoheitsgebiet entfernt, wurde er von geschäftstüchtigen parthischen Händlern, die behaupteten, Rom sei noch 2 Jahresreisen entfernt, von der Weiterreise abgehalten. Entmutigt brach Gan Ying seine Reise ab und kehrte 98 n. Chr. nach Hause zurück. Er hinterließ jedoch einen ausführlichen Bericht:

„Sein [Roms] Gebiet erstreckt sich über mehrere tausend Li [ein „Li“ entspricht ungefähr einem halben Kilometer] und hat über 400 von Mauern umgebene Städte. Die äußeren Mauern der Städte sind aus Stein. Sie haben Poststationen aufgebaut. […] Es gibt auch Pinien und Zypressen. […] Was den Herrscher betrifft, so ist er keine dauerhafte Institution, sondern der ehrenwerteste Mann wird erwählt. […] Die Menschen in diesem Land sind groß und haben regelmäßige Gesichtszüge. Sie ähneln den Chinesen, und darum wird das Land Da Qin (das „große“ Qin) genannt. […] Die Erde bringt viel Gold, Silber und seltene Steine hervor, dazu gehört ein Stein, der nachts leuchtet. […] Sie nähen mit Goldfäden gestickte Gewebe, um Wandteppiche und vielfarbigen Damast herzustellen, und sie fertigen einen goldfarbenen Stoff und einen Stoff, der „im Feuer gewaschen wird“ (Asbest). Aus diesem Land kommen all die verschiedenen wunderbaren und seltenen Dinge der ausländischen Staaten.“ (Hou Hanshu)

Während chinesische Hofannalen von mehreren angeblich offiziellen römischen Gesandtschaften berichten, findet sich in römischen Quellen nichts von offiziellen diplomatischen Missionen nach China. Bei diesen „Gesandtschaften“ handelte es sich wahrscheinlich eher um geschäftstüchtige (vielleicht sogar syrische?) Händler, die sich als hochherrschaftliche Abgesandte Roms einen höheren Gewinn erhofften.

Andererseits berichtet der römische Geschichtsschreiber Florus vom Besuch zahlreicher Gesandtschaften, darunter auch Serer (vielleicht Chinesen?, siehe auch die Möglichkeit der Missdeutung des Begriffs „Serer“ weiter oben), beim ersten römischen Kaiser Augustus, der zwischen 27 v. Chr. und 14 n. Chr. regierte:

„Jetzt, da all die Völker des Westens und Südens unterworfen waren und auch die Völker des Nordens, […] sandten die Skythen und die Sarmaten Botschafter, um unsere Freundschaft zu ersuchen; die Serer (?) und auch die Inder, die unmittelbar unter der Sonne leben, betrachteten, obwohl sie Elefanten sowie kostbare Steine und Perlen als Geschenke brachten, ihre lange Reise, für deren Bewältigung sie 4 Jahre (!) verbrachten, als größten Tribut, den sie leisteten, und in der Tat bewies ihre Gesichtsfarbe, dass sie unter einem anderen Himmel wohnen. (Florus, Epitomae II, 34)

Reale gegenseitige Kenntnis beider – mittlerweile geteilter – Großreiche lässt sich erst in der Spätantike nachweisen. In byzantinischen Quellen wird das nordchinesische Reich der Wei-Dynastie (hervorgegangen aus dem Nomadenvolk der Tabgatsch) als „Taugast“ bezeichnet. Byzanz mit seiner Hauptstadt Konstantinopel erscheint auf der nestorianischen Stele von Xi’an als „Fulin“, während die sasanidische Hauptresidenz Ktesiphon nunmehr als Daqin bezeichnet wird.

Obwohl es nie zu offiziellen Kontakten zwischen beiden Reichen kam, bestanden seit dem 1. Jh. v. Chr. bereits indirekte Handelsbeziehungen. Chinesische Seide war in Rom ebenso sehr begehrt wie teuer und wurde, sehr zum Leidwesen moralbeflissener römischer Senatoren und Schriftsteller, gerne von den Frauen, die es sich leisten konnten, auf Roms Straßen getragen. Plinius der ältere klagt über die hohen Kosten des Seidenimports:

„Niedrig geschätzt nehmen Indien, die Serer und die arabische Halbinsel jährlich 100 Millionen Sesterzen durch unser Reich ein: So viel kosten uns unser Luxus und unsere Frauen.“ (Plinius der Ältere, Naturalis Historia XII, 84)

Der römische Senat erließ (wenn auch mit wenig Erfolg) mehrere Edikte, um das Tragen von Seide aus den oben genannten wirtschaftlichen sowie aus moralischen Gründen zu verbieten. Seidenkleider wurden als dekadent und unsittlich angesehen:

„Ich kann Seidenkleider sehen, sofern Stoffe, die weder Körper noch Anstand verbergen, überhaupt Kleider genannt werden können. […] Ganze Mädchenscharen bemühen sich, dass die Ehebrecherin durch ihr dünnes Kleid sichtbar ist und dass ein Ehemann nicht mehr Kenntnis vom Körper seiner Frau hat als irgendein Fremder.“ (Seneca, de beneficiis 7, 9)

Ganz ähnlich lässt Senecas Zeitgenosse Petronius seinen Neureichen Trimalchio die neue Seidenmode beschreiben:

„Roms Burg zerbirst im breiten Schlund des Luxus. […] Schickt sich für Ehefraun ein Hauch von Kleid, nach feiler Dirnen Art ein Florkostüm?“ (Petronius, Satyricon 55, 6)[9]

und:

„Die jedem vertrauten Genüsse reizten nicht mehr, […] um die Wette im Erdenschacht suchte man schimmernde Schätze und Purpurschnecken im Meere. Marmor kam aus Numidien hier, dort Seide aus China […].“ (Petronius, Satyricon 119, 7f. u. 10f.)

In China dagegen wurden Importe aus den römischen Ostprovinzen als Luxusartikel hoch geschätzt.

Hochwertiges Glas aus römischen Manufakturen in Alexandria und Syrien wurde zu vielen Orten in Asien exportiert, darunter auch nach Han-China. Weitere römische Luxusartikel, die von chinesischen Kunden hochgeschätzt wurden, waren goldbestickte Teppiche und goldfarbige Stoffe, Asbest-Stoffe und Byssus, ein Stoff von den seidenähnlichen Haaren bestimmter im Mittelmeer lebender Muscheln.

Wahrscheinlich im 1. Jahrhundert n. Chr. öffnete sich eine Schifffahrtsroute von den römisch kontrollierten Häfen in Ägypten und in Nabatäa an der Nordostküste des Roten Meeres über Häfen an den Küsten von Indien und Sri Lanka bis zum chinesisch-kontrollierten Jiaozhi (im heutigen Vietnam, nahe Hanoi). In der ehemaligen Küstenstadt Óc Eo im Mekong-Delta wurden in den 1940er Jahren hunderte römische Münzen entdeckt. Óc Eo könnte auch identisch sein mit dem bei Claudius Ptolemäus erwähnten Hafen „Kattigara“.

Diese indirekten Kontakte zwischen Rom und Han-China sind ohne die Vermittlerrolle der Steppenbewohner kaum vorstellbar. So verwundert es nicht, dass sowohl chinesische wie auch römische Luxusartikel im gesamten Steppenraum zwischen Rom und China gefunden wurden und verbreitet waren und auf vielen Zwischenstationen ihren Weg in die jeweiligen Weltreiche fanden. So profitierten auch die vielen Völker und Regionen des Steppengürtels, die als Zwischenhändler fungierten, von den indirekten römisch-chinesischen Wirtschaftskontakten und es verwundert daher nicht, dass die parthischen Händler kein Interesse an direkten Kontakten zwischen den Großmächten hatten und Gan Ying (s.o.) wieder nach Hause schickten.

Der Steppengürtel, der sich vom Nordwesten Chinas bis in die ungarische Tiefebene über mehr als 6.000 km erstreckt, ist durch eine mehr oder weniger gleichförmige landschaftliche Situation ohne nenneswerte geographische Hindernisse gekennzeichnet. So fand bereits im ausgehenden Neolithikum und mit Beginn der Bronzezeit ein Austausch von Menschen und Ideen auf den Ost-West-Routen (die später zur Seidenstraße werden sollte), in beiden Richtungen, statt. Funde von über 3.000 Jahre alten Mumien mit europiden Zügen im Wüstensand der Taklamakan im Westen Chinas bezeugen dies auf eindrucksvolle Weise.

So wird heute von einigen Forschern vermutet, dass die Völkerwanderung, ausgelöst durch die Bewegungen europäischer Völker und den Einfall der Hunnen, ihren Anstoß letztlich in der agressiven Expansionspolitik der Han-Dynastie und der Vertreibung der Nomadenstämme (Xiongnu, Yuezhi und andere) im Westen und Nordwesten Chinas fand. Auf der erzwungenen Wanderung dieser Stämme nach Westen wurden weitere Völker verdrängt bzw. mitgerissen, um schließlich als Vielvölkergemisch der Hunnen vor den Toren des Römischen Reiches aufzutauchen und dessen beginnendes Ende einzuleiten. Ob dabei die Xiongnu mit den Hunnen (man beachte die lautmalerische Ähnlichkeit) gleichgesetzt werden können, lässt sich nach derzeitigem Stand der Forschung nicht einwandfrei belegen.