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Interview mit „Der Stradiot“

Das nachfolgende Interview führte „Der Stradiot“ (alias Stefan Stanulov) bereits im Februar 2015 mit uns:

Seit wann gibt es eure Gruppe? Wann und wo war euer Debut?

Unseren ersten Mittelaltermarkt besuchten wir 2009 im Rahmen der Katzenelnbogener Ritterspiele. Eines unserer Gruppenmitglieder ist Schriftstellerin und wollte eine Geschichte über dieses Thema schreiben. Kurzerhand schlugen wir dort also unser Lager auf, obwohl die thematische und inhaltliche Ziel- und Umsetzung weit von dem entfernt war, wie wir heute vorgehen.

Wie viele Mitglieder hat eure Gruppe? Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?

Unsere Kerngruppe besteht aus 5 Personen, aber wir arbeiten oft und gerne mit anderen Darstellern oder Gruppen zusammen, wenn es sich anbietet oder sind auch mal in geringerer Gruppenstärke auf Veranstaltungen unterwegs. Um Nachwuchs bemühen wir uns nicht, da es unserem Konzept gemäß kein Ziel von uns ist, in der Größe zu wachsen.

Welche Darstellungen habt ihr eigentlich genau?

Im Moment haben wir einen thematischen Schwerpunkt auf skythenzeitlichen und römerzeitlichen Nomadendarstellungen.

„Amazone“ (Frühsarmatisch, südliches Uralvorland, 5./4.Jh.v.d.Z.)

„Ukok-Prinzessin“ (Pazyryk-Kultur, Altai, 4./3.Jh.v.d.Z.)

Skythe (Schwarzmeerskythisch, 4./3.Jh.v.d.Z.)

„Händlerin an der Seidenstraße“ (Xinjiang, Han-Zeit)

„Baktrische Fürstin“ (Tilla-Tepe, ca. 50 n.d.Z.)

„Sarmatischer Auxiliar“ (Mittelsarmatisch, Nordschwarzmeerraum, 1./2.Jh.n.d.Z.)

Was bietet ihr alles an, wenn ihr lagert?

Wenn wir lagern, wollen wir unser Wissen vermitteln. Das setzen wir je nach Rahmen der Veranstaltung in Form von Schautafeln, Vorträgen, Handwerksvorführungen oder Führungen durch unser Lager um. Handwerklich können wir z.B. Wollverarbeitung zeigen, d.h. den gesamten Herstellungsprozess von der Rohwolle über das Färben, Spinnen, Weben und Nähen bis hin zum fertigen Werkstück. Auch der Bau eines Schuppenpanzers oder von Pfeilen kann gezeigt werden. Anschauungsobjekte zu anderen Projekte wie z.B. antike Ernährung, Farbherstellung oder Filzen sind vorhanden und können wir bei Bedarf vorführen. Unsere Fertigkeiten zu bestimmten Handwerkstechniken oder z.B. dem Bogenschießen zeigen wir jedem interessierten Besucher gerne.

Wichtig ist uns auch eine im Rahmen des Machbaren gut umgesetzte Lagerausstattung. Soweit es uns möglich ist, fertigen wir auch alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Messer, Schüsseln oder Becher nach historischen Vorlagen. Das Herzstück unseres Lagers aber ist die voll ausgestattete Jurte, durch die wir Führungen anbieten.

Wie steht es bei euch als Darsteller, die ja ein Reitervolk darstellen, eigentlich mit dem Reiten aus? Wie wichtig ist euch das Können in der Gruppe?

Der Großteil von uns hat Erfahrung mit Pferden und kann reiten. Dieses Wissen ist bei der Vermittlung einiger Details unserer Darstellung natürlich von Vorteil. Auch haben wir in Zusammenarbeit mit befreundeten Reitern bereits einige empirische Daten bezüglich unserer Ausrüstung sammeln können – z.B. wie man am besten einen Köcher am Gürtel befestigt, um auf dem Pferderücken überhaupt an die Pfeile zu kommen. Wir setzen dieses Wissen aber nicht voraus, um in unserer Gruppe mitzumachen. Leider stünde das Mitbringen eines Pferdes auf unsere Lager meist in keinem Nutzenverhältnis zu dem Aufwand, da man diverse Bescheinigungen braucht, um das legal umsetzen zu können. Aber auch hier arbeiten wir sehr gerne mit befreundeten Reitern zusammen, wenn es sich anbietet. Ansonsten wenden wir derzeit unser finanzielles und zeitliches Pensum für andere Projekte wie den Bau einer Jurte oder die sorgfältige Recherche von Kleidung oder Alltagsgegenständen auf.

Wie kamt ihr auf die Idee, genau Skythen und Sarmaten darzustellen? Was macht für euch die Faszination rund um Skythen und Sarmaten aus?

Die Idee, (vorerst) Sarmaten darzustellen, war eigentlich ein Zufall. Eines unserer weiblichen Gruppenmitglieder besuchte schon vor einigen Jahren Mittelaltermärkte. Ein wirkliches Konzept in der Darstellung gab es nicht, die Ausrüstung bestand aus bunt zusammengewürfelten Elementen. Auf irgendeinem dieser Märkte wurde sie von einem älteren Herrn mit hochrotem Kopf erbost angesprochen, dass sie als Frau im Mittelalter gefälligst kein Schwert zu tragen hätte (denn das baumelte natürlich selbstbewusst am Gürtel). Frauen hätten hinter dem Herd gestanden und es wäre historisch betrachtet absoluter Unsinn, dass sie je eine Waffe in die Hand genommen hätten, meinte er. Daraufhin begann sie, nach historischen Belegen für Frauen zu suchen, welche sich aktiv an Kämpfen beteiligten – und stieß auf die Sarmaten. Der Rest der Gruppe half mit bei der Recherche und fand Gefallen an der Darstellung rund um den eurasischen Steppengürtel. Übrigens ist besagte Darstellung einer bewaffneten Frau zwar heute gut ausgereift und sorgfältig recherchiert, stößt aber immer wieder auf Veranstaltungen auf Ungläubigkeit und ist Anlass für Diskussionen.

Die Faszination an den eurasischen eisenzeitlichen Nomaden hat sich bei uns allen bis heute erhalten und resultiert aus der unglaublichen kulturellen Vielfalt, die der Steppengürtel zu bieten hat. Die Nomaden der Antike waren Träger einer weitgehend schriftlose Kultur. In Westeuropa und Ostasien sind sie nahezu unbekannt, da sie kaum Erwähnung in der Geschichtsschreibung finden. Dabei waren sie unglaublich wichtig und zugleich bedrohlich für alle antiken Großreiche (Griechenland, Rom, China, Persien), die auf die Nomaden abfällig als „Barbaren“ herabblickten. Die Nomaden des Steppengürtels hatten aber in der gesamten Antike eine wichtige Vermittlerfunktion und transportierten Güter, Ideen und Personen über tausende Kilometer. Das ist ein Aspekt, den wir spannend finden.

Wie sind die Reaktionen von Seiten anderer Reenactors auf euch? Und wie reagieren andere Veranstalter auf „Exoten“ wie euch?

Allgemein betrachtet würden wir sagen, dass die Reaktionen auf uns sehr positiv ausfallen. Meistens wird unsere Ausstattung auch dann gewertschätzt, wenn andere unsere Darstellung nicht genau einschätzen können.

Hin und wieder kommt es aber auch vor, dass wir ob der Unwissenheit anderer Reenactors als „Karnevalsverein“ eingestuft werden, z.B. wegen unserer bunten Kleidung und des Goldschmucks. In diesem Falle wird uns nicht zugetraut, eine so verlässliche Recherche betrieben zu haben, dass unsere Ausstattung für „richtiges Reenactment“ tauglich ist. Diese beiden Reaktionen auf uns – also von sehr verhalten und ablehnend bis absolut begeistert – spiegeln sich auch bei Veranstaltern wieder. Manch einer findet unser Konzept sehr gut und freut sich auf uns, andere wiederum lehnen uns ab, weil sie uns nicht richtig einschätzen können und für unpassend oder gar schlecht befinden.

Angenommen, ein/e Anfänger/in im Reenactment hat sich nach dem Artikel dazu entschlossen, ebenfalls eine solche Darstellung zu machen. Welche Tipps würdet ihr ihm/ihr geben?

Vor einer guten Darstellung steht immer eine gute und sorgfältige Recherche. Man sollte sich erst einmal wissenschaftlich fundierte Literatur besorgen und sich ein wenig einlesen. Hat man sich für ein Konzept/ eine Darstellung entschieden, sollte man auf keinen Fall an den richtigen Materialien für Kleidung und Ausrüstung sparen. Besser, man fängt mit einer einfachen Darstellung an, denn steigern kann man sich später immer noch. Keep it simple – lieber eine schlichte, aber gut gemachte Ausstattung als halbherzig überall Kompromisse eingehen. Der Rest kommt dann mit der Zeit.

Spiegel

Spiegel

Ak-Alacha 3, Ukok Plateau („Eisprinzessin“): Rekonstruktion der vergoldeten hölzernen Spiegelrückseite

Spiegel finden sich in vielen skythenzeitlichen Gräbern des 5. bis 2. Jahrhunderts v. Chr. in Sibirien und Mittelasien. Die meisten der heute noch erhaltenen Spiegel stellen Grabimitationen dar, d.h. eigens für den Bestattungsritus und die Grabbeigabe angefertigte Stücke aus Holz, unbearbeiteter Bronze oder vielfach reparierte und defekte Spiegel. Manchmal wurde ein Spiegel bei der Bestattung auch zerbrochen und seine Einzelteile mit ins Grab gegeben. Sie sollten dem Verstorbenen auch in der jenseitigen Welt zur Verfügung stehen. Es ist anzunehmen, dass die Spiegel neben ihrem Wert als Gebrauchsgegenstand auch eine magisch-rituelle Funktion für die Nomaden hatten. Oft waren sie auf der Rückseite mit theriomorphen Motiven geschmückt, die Huftiere (wie z.B. Hirsche oder Widder) oder Raubtiere (wie z.B. Bären oder Fabelwesen) zeigten. Diese Darstellungen stehen wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem in ganz Mittelasien weitläufig bekannten Mythos der „Kosmischen Jagd“: ihm zufolge verschlingt ein Raub- oder Fabeltier in regelmäßigen Abständen ein Huftier – in der Regel einen Hirschen –, welches den Mond symbolisiert. Seinen Ausdruck findet dieser Mythos in einer Mondfinsternis.

Das prominente Auftreten von Spiegeln in allen Kulturarealen der eisenzeitlichen eurasischen Steppe weist unabhängig vom semantischen Gehalt der Bildinhalte auf ihrer Rückseite auf ihre wichtige symbolische Funktion im Leben der Nomaden hin.
Literatur:
Kubarev, Vladimir D. (1996): Spiegel asiatischer Nomaden als religionsarchäologische Quelle. Eurasia Antiqua 2: 320-345.

Neues von der Taman-Halbinsel

Kimmerischer Bosporus und Taman-Archipel, 500 BC

Kimmerischer Bosporus und Taman-Archipel, 500 BC

Am 10.11.2015 war AD in einem Vortrag im RGZM in Mainz. Dr. Udo Schlotzhauer berichtete von neuen Ausgrabungs- und Forschungsergebnissen eines russisch-deutschen Projekts auf der Taman-Halbinsel, speziell über Golubitskaya 2. In diesem Zusammenhang wurden auch umfangreiche geoarchäologische Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse die bis jetzt vorherrschende Lehrmeinung über die Küstenverläufe des östlichen Kimmerischen Bosporus und dessen Umgebung fast vollständig in Fragen stellen. Offenbar lagen Siedlungen nicht, wie bisher angenommen im „indigenen Hinterland“, sondern an einem zweiten, von den Forschern Kuban-Bosporus“ getauften, Schifffahrtsweg ins Asovsche Meer und waren ebenfalls griechische Gründungen und keine indigenen Siedlungen. Scheinbare Widersprüche in zeitgenössischen Beschreibungen dieser Gegend (z. B. bei Strabon) lassen sich somit erklären und auflösen. Dies bedeutet aber auch, dass die Namensgebung derzeitiger Fundorte und Ausgrabungsplätze (z. B. Hermonassa und Phanagoreia) höchstwahrscheinlich nicht stimmen. Im Gegensatz zu den westlich des Kimmerischen Bosporus gelegenen antiken griechischen Siedlungen wie z. B. Pantikapaion sind die Namensgebungen der östlichen Fundplätze reine Vermutungen der Archäologen und bisher durch keine harten Fakten, wie z. B. Inschriften, belegt. D. h. an dem Fundort „Hermonassa“ wird zurzeit eine Siedlung ausgegraben, die wahrscheinlich gar nicht Hermonassa war! Daraus folgt auch, dass das ursprüngliche Kerngebiet griechischer Siedlungstätigkeit ab dem 7. J. v. d. Z. sich offenbar viel weiter nach Osten erstreckte als bisher angenommen. Die antike Küstenlinie der Taman-Halbinsel liegt heute dagegen im Festland und zwischen dem Kimmerischen Bosporus und dem Neuentdeckung Kuban-Bosporus erstreckte sich ein ausgedehntes Archipel, das allmählich durch den Sedimenteintrag des Kuban verlandete.

Auf Nachfrage bestätigte Herr Dr. Schlotzhauer, dass zurzeit intensiv entlang der „virtuellen“ Küstenlinie nach Siedlungsresten gesucht wird und auch bereits erste vielversprechende Ergebnisse gebracht hat. Man darf also in Zukunft auf weitere spannende Entdeckungen gespannt sein!

Die Forschungsergebnisse sollen nächstes Jahr ausführlich veröffentlicht werden.

Näheres findet sich auch in verschiedenen Publikationen von Herrn Dr. Schlotzhauer auf academia.edu

Hirschsteine

Hirschsteine in der Mongolischen Steppe

Hirschsteine in der Mongolischen Steppe

Als „Hirschsteine“ werden Steinstelen bezeichnet, die sich im gesamten Steppengürtel, vor allem jedoch in der Mongolei und dem Altai finden. Insgesamt sind über 600 Stück dieser steinernen Monumente bekannt. Trotz Datierungsschwierigkeiten werden die Stelen meist in die Phase des Übergans der Bronze- in die frühe Eisenzeit datiert. Häufig sind in ihre Oberflächen kunstvoll stilisierte Petroglyphen in Hirschform eingraviert, woraus sich ihr Name ableitet. Die Hirschmotive lassen Ähnlichkeiten zum sogenannten skytho-sibirschen Tierstil deutlich erkennen. Die Stelen sind meist schematisch anthropomorph gearbeitet, d.h. es ist eine Kopf-, Rumpf- und Unterkörperpartie erkennbar. In der Mitte ist i.d.R. ein Gürtel dargestellt, an dem Waffen, Werkzeuge und Spiegel erkennbar sind.

Die genaue Funktion der Hirschsteine ist bislang nicht zweifelsfrei geklärt. Da sie so gut wie immer in Zusammenhang mit Begräbniskomplexen (Steinkistengräber oder Kurgane mit Steinpanzer) auftreten, ist ihr Bezug zum Begräbnisritus wahrscheinlich. Eine Funktion als Grabstein, der den Verstorbenen darstellt, ist ebenso denkbar wie die eines Gedenksteines, der einen mythischen Urahnen zeigt. Da bei manchen der Hirschsteine verkohlte Knochen- und Essensreste gefunden wurden, liegt die Vermutung der rituellen Nutzung als Altar (z.B. für Tieropfer) nahe. In Hinblick auf die eingravierten Hirsche, die teils wie vogelartige Mischwesen wirken, ist in der Wissenschaft die Annahme verbreitet, dass die Steine einen Transformationsprozess – nämlich jenen von der dies- in die jenseitige Welt – manifestieren und darstellen sollen. Dies würde ihr Vorkommen im Rahmen von Begräbniskomplexen plausibel erklären.

Literatur:
Brentjes, Burchard (1996): „Frühe Steinstelen Sibiriens und der Mongolei.“ Central Asiatic Journal 40: 21-55.
Fitzhugh, William W. (2009): „Stone Shamans and Flying Deer of Northern Mongolia. Deer Goddess of Siberia or Chimeria of the Steppe?“ Arctic Anthroplogy 46 (1-2): 72-88.
Jacobson, Esther (1993): The Deer Goddess of ancient Siberia. A Study in the Ecology of Belief (Studies of the history of Religions vol. LV). Leiden, New York und Köln: E.J.Brill.
Savinov, D.G. (2009): „On the Interpretation of Central Asian and South Siberian Rock Art.“Archaeology, Ethnology and Anthropology of Eurasia 37 (2): 92-103.
Wang, Bo (2001): „Hirschsteine in Xinjiang.“ Eurasia Antiqua 7: 105-131.